In den Zeitraum nach 1900 fällt eine umfangreiche Gründungswelle von Turn- und Sportvereinen in Deutschland. Der Anlass dazu ging von den II. Olympischen Spielen im Jahre 1900 in Paris aus. Im Abschlussbericht des deutschen Olympiakomitees hieß es: “Die Erwartungen, die auf unsere Leute gesetzt wurden, haben sich nicht erfüllt. Damit ist der beste Beweis erbracht, das man auch im Ausland, vor allem in Frankreich, zu turnen versteht.”
Mit dieser Feststellung, besonders aber mit dem Stichwort “Frankreich”, war eine Saite ange- schlagen, die fortan der deutschen Turn- und Sportbewegung gewaltigen Auftrieb gab. Die Deutschen waren damit in ihrem nationalen Ehrgeiz getroffen. Überall im Land entstanden neue Sportvereine und Schwimmclubs.
Wilhelm Beyer und August Peinemann waren als Bauhandwerker im Oberharz tätig. Ihr Quartiers- wirt, ein begeisterter Turner, ermunterte sie zur Gründung eines Turnvereins in Eisdorf.
Die Niederschrift über die Gründung eines Turnclubs in Eisdorf hat folgenden Wortlaut:
Generalversammlung am 5.April 1901. In der heutigen Versammlung wurde die Gründung eines Turnvereins beschlossen.
Es wurden als Vorstand gewählt:
- als 1. Vorsitzender: Wilhelm Beyer
- als Stellvertreter: August Peinemann
- als Schriftführer: August Hellmold
- als Stellverterter: August Rath
- als Kassenführer: August Hollung
- als Turnwart: Franz Haberlandt
Bis zum Ausbruch des 1. Weltkrieges (1914) wuchs die Mitgliederzahl des Turnclubs Eisdorf langsam aber stetig. Waren es im ersten Jahr 32 und ein Jahr später 34 Mitglieder, so stieg die Zahl bis 1906 auf 54. Zum zehnjährigen Stiftungsfest enthielt das Mitglieder- verzeichnis bereits 81 Namen. Während des Sommerhalbjahres lag der Schwer- punkt der Vereins- arbeit neben Körperschule und Faustball auf dem leichtathletischen Training. Wettkampf- sportarten waren Hundert-Meter-Lauf, Steinstoßen (15 Kg), Frei-Weit-Sprung und Frei-Weit-Hochsprung. Zwar dauerte es noch bis 1906, bis Eisdorfer beim Gauturntag in Herzberg erste Preise für ihren Verein erringen konnten, danach aber gab es kaum noch einen Vergleichskampf ohne Erfolge.
Die Turner des TC Eisdorf im Jahr 1907
Die Anschaffung eines Recks, eines zweiten Pferdes und einiger Fechtdegen machte auch die Winterzeit auf dem stets ungeheizten Saal des Vereinslokals August Armbrecht (heute Ohse) für die Turner attraktiver.
An den Dorffesten wie dem Schüttenhoff, an Ehrungen und öffentlichen Feiern beteiligte sich der TC stets aktiv, so z.B. an der Ehrung von Pastor Parisius zu dessen 25jährigen Dienstjubiläum am 07.Februar 1902, am Sängerfest 1904 oder am Kriegerfest 1905. Der TC feierte ab 1902 jeweils am zweiten Weihnachts- und zweiten Ostertag seine Vergnügen. Ab 1909 kam noch ein “Kappenball” als geschlossenes Vergnügen im Februar hinzu.
Der Monatsbeitrag beim Turnverein war auf “nur” 0,25 Mark festgesetzt. Standen ein Fest oder eine größere Anschaffung bevor, wurde der Beitrag auf 35 Pfennige erhöht. Aus diesen Beiträgen und mit Hilfe von Spenden und einem Darlehen konnte 1904 eine Fahne angeschafft werden, die im September desgleichen Jahres geweiht wurde. Im Mai 1907 richtete der Turnverein Eisdorf ein Turnfest auf Gauebene aus. 1908 wurde eine Sängerriege gegründet. Durch das Singen gewann der Verein weitere Mitglieder hinzu.
Schon 1909 begann der TC eine Geldrücklage zum Bau einer Turnhalle in Eisdorf zu bilden. Jedoch machten der Ausbruch des 1. Weltkrieges und die nachfolgende Geldentwertung alle Vorhaben zunichte. Im Oktober 1914 hatte bereits ein drittel aller aktiven Eisdorfer Turner einen Stellungsbefehl erhalten. Weihnachten 1914 stand die Hälfte der Vereinsmitglieder an der Front. Bei der Generalversammlung am 3. Januar 1915 waren nur noch 23 Stimmberechtigte anwesend. August Rath und Ernst Reinhard wurden als neue Vorsitzende gewählt. Der Turnbetrieb ging stark zurück und wurde schließlich völlig eingestellt. Ab März 1915 fehlen im Protokollbuch des TC Eisdorf alle weiteren Eintragungen bis zum 01. Januar 1919.
Am Neujahrstag 1919 versammelten sich 22 Vereinsangehörige zur ersten Generalversammlung nach dem Krieg. Wieder musste ein neuer Vorstand gewählt werden. Wilhelm Wedemeyer übernahm das Amt des Vorsitzenden. Heinrich Armbrecht, der dem TC während der Kriegsjahre vorstand, übernahm die Funktion des 2. Vorsitzenden. Von nun an wurde wieder zweimal wöchentlich geturnt und auch die Sängerriege wurde erneut ins Leben gerufen. Nach vielen erfolgreichen Wettkämpfen fand im September 1919 ein großes Schau- und Abturnen mit anschließendem Ball statt. Am 2. Weihnachtstag wurde, wie in alten Zeiten, ein Vergnügen mit Tanz und Theateraufführung ausgerichtet.
Doch schon bald wirkte sich die Inflation auf das Vereinsleben aus. Der Beitragssatz musste 1920 von 35 auf 50 Pfennige angehoben werden und stieg bis 1923 bis auf monatlich 300 Mark an. Schließlich konnte der Verein seinen Zahlungsverpflichtungen nicht mehr nachkommen und stellte seine Kassengeschäfte auf Naturalabgaben um: Der Chorleiter der Sängerriege wurde mit Kartoffeln oder Roggen bezahlt, die Musikkapelle mit Wurst und Korn, der Vereinswirt bekam Holz zum Beheizen des Saales und Turngeräte wurden gegen Lebensmittel getauscht.
Nach Einführung der Rentenmark im Jahre 1923 begann eine neue Kassenführung. Die Monatsbeiträge wurden auf 0.20 RM für Turner und 0,10 RM für Knaben festgesetzt. Allerdings waren durch die Inflation alle Rücklagen, auch die Mittel für den geplanten Turnhallenbau verloren gegangen.
Seit 1925 wurde in Vereinsversammlungen angeregt, den TC gerichtlich eintragen zu lassen. 1929 waren dazu alle Fragen geklärt, jedoch lehnte die Generalversammlung die Eintragung aus Kostengründen ab.
Im Mai 1926 wurde das 25jährige Stiftungsfest des TC gefeiert. Bei Wettkämpfen errang der Verein eine Reihe beachtlicher Preise: Wilhelm Fischbeck wurde Gaumeister im “Hochsprung aus dem Stand”, die B-Mannschaft errang die Gaumeisterschaft im Faustball. Auch in den folgenden Jahren erkämpften die Eisdorfer Faustballmannschaften nahezu alle Gau- und Bezirksmeistertitel.
1926 konnte das Vorhaben, einen Sportplatz zu erbauen, erfolgreich umgesetzt werden. Der Rat stellte dem Verein den Schlackenbleek, ein unfruchtbares altes Eisenhüttengelände am Posthof, kostenlos zur Verfügung. Die Umwandlungarbeiten stellten an den Verein harte Anforderungen. Schließlich beschloss man, auch dem Arbeiter-Turnverein Nutzungsrechte am Platz einzuräumen, falls dessen Mitglieder bereit seien, ebenfalls bei der Herrichtung des Schlackenbleeks zu helfen.
Wilhelm Rath, Wilhelm Beyer, August Opermann, August Oppermann, August Kreiter, Wilhelm Armbrecht beim Herrichten des Sportplatzes am Posthof.
Im Jahr 1928 stellte der TC seine erste Mädchenriege auf. Kinderturnwart wurde Otto Fischbeck. Der Spielwart Erich Schnute hatte zwei Herren-, eine Jugend-Faustballmannschaft und später noch zwei Handballmannschaften zu betreuen. Durch große Aktivität und gute Leistungen aller Sparten stieg die Mitgliederzahl bis 1932 auf 140 an.
1929 wählte die Mitgliederversammlung August Armbrecht zum Vorsitzenden, sein Stellvertreter wurde Wilhelm Rath.
Ende der zwanziger, Anfang der dreißiger Jahre wurde das Einkassieren der Monatsbeiträge zu einem schier unlösbaren Problem. Immer mehr Vereinsangehörige mussten um Stundung ihrer Beiträge bitten. Der Vorstand des TC sah sich deshalb 1932 gezwungen, den Beitrag um linear 10 Pfennige im Monat zu senken. Von denen, die noch einen Arbeitsplatz hatten, erhob man eine “Sondersteuer” oder bat um eine Spende für die Vereinskasse.
Die Machtübernahme Hitlers änderte zunächst nichts an der Vereins- und Vorstandsarbeit. Für den 25. Mai 1933 wurde eine außerordentliche Mitgliederversammlung anberaumt, um zur Frage der “Gleichschaltung” Stellung zu nehmen. Zu Beginn der Sitzung trat der Vorstand geschlossen zurück, wurde jedoch fast vollständig wiedergewählt. Neu im Vorstand war ein “Wehrsportwart” und der Vorsitzende hieß nun “Vereinsführer”.
Die Vereinsführung des Turnclubs blieb auch 1934 unverändert. Durch immer stärkere Inanspruch- nahme der jungen Leute durch SA- und HJ-Dienst begann der Turnbetrieb zu leiden. Immer mehr junge Mitglieder verließen den Verein, weil sie in den Arbeitsdienst oder das Heer eintraten. Schließlich musste der TC sogar seine Handballmannschaft von Punktspielen zurückziehen. Anders bei den Turnerinnen. Sie errangen im September 1934 in Osterode den vom Regierungspräsidenten zum Kreissporttag als Mannschaftspreis gestifteten Wimpel.
Ab 1935 gehörte ein “Dietwart” zum Vorstand des TC. Seine Aufgabe war die “geistige Ausrichtung” aller Mitglieder auf das nationalsozialistische Gedankengut. Im April 1936 wurden alle Turn- und Sportvereine im “Reichsbund für Leibesübungen” zusammengeschlossen. Jeder Jugendliche musste einem Sportverein und jeder Sportler der HJ oder einer anderen NS-Organisation angehören.
Am 05. Januar 1936 übergab August Armbrecht die Vereinsführung an Alfred Kesten dessen Nachfolger wurde am 01. Januar 1937 Otto Fischbeck. Doch schon drei Tage später wurde auf einer erneut einberufenen Vollversammlung Adolf Wedemeyer als Führer des TC eingesetzt. Im Protokollbuch heißt es dazu: “Wegen Einspruch eines Mitglieds beim hiesigen Stützpunktleiter der NSDAP wurde die Bestätigung des neuen Vereinsführers (Otto Fischbeck) nicht gewährleistet.” Alle Sportfunktionäre auf höherer Ebene waren durch Nationalsozialisten ersetzt worden. Selbst in den Vereinen sorgte die Partei dafür, dass nur “zuverlässige”Leute in führende Positionen gelangten.
Am 4. März 1939 fand die letzte Monatsversammlung statt. Als am 1. September 1939 Deutschland Polen den Krieg erklärte, waren die meisten jüngeren Leute bereits eingezogen oder dienstverpflichtet. In den folgenden Kriegsjahren kam der Turnbetrieb fast vollständig zum Erliegen. Vereinsversammlungen fanden ab 1942 nicht mehr statt.
Die militärische Niederlage und die danach einsetzende strafrechtliche Verfolgung aller, die sich im Dritten Reich exponiert hatten, haben dazu geführt, dass letzte Eintragungen im Protokollbuch des TC Eisdorf herausgerissen wurden, um niemanden zu kompromittieren.